Erziehen ohne Strafen – geht das?

Vater schimpft mit Tochter
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„Wenn du nicht aufisst, darfst du nachher nicht mehr Fernsehen!“
„Wenn du nicht sofort ruhig bist, passiert was!“
„Der Nikolo bringt nur den braven Kindern was!“

Wer kennt sie nicht diese Aussagen?!

Warum Strafen die Würde eines Kindes verletzen und was es für Alternativen gibt, davon könnt ihr im folgenden Artikel lesen.

Strafen

Wenn-Dann-Sätze, Androhungen und Aussagen, die in brave und schlechte Kinder aufteilen und Time-Out-Methoden gehören leider oft im Elternalltag dazu. Überforderung, Stress und ungleiche Machtverhältnisse sind nur ein paar der Gründe, warum Eltern meinen Kinder bestrafen zu müssen.

Wenn hier von Strafen die Rede ist, sind verbale Aussagen gemeint und nicht körperliche Strafen. Letztere kommen aber leider noch immer häufig vor und häusliche Gewalt ist ein sehr ernst zu nehmendes Thema.

Warum wir Kinder bestrafen

Blickt man 60 Jahre zurück waren körperliche Strafen im privaten Bereich aber auch zum Beispiel in der Schule nichts Seltenes und gesellschaftlich akzeptiert. Es ging darum gehorsame und pflichtbewusste Kinder zu erziehen, die wussten wann man den Mund aufmacht und wann nicht. Den Kindern wurde somit ganz klar gezeigt, dass sie die Schwächeren sind. In den letzten Jahrzehnten hat ein Wertewandel in der Familie und vor allem in der Haltung Kindern gegenüber eingesetzt. Es wird nun eine demokratische Grundhaltung und Empathie gegenüber Kindern gepflegt.

Dennoch bestrafen wir Kinder vor allem durch Sprache und Handlungen.

Der Job „Eltern“ ist sehr fordernd. In den ersten Lebensjahren sind es oft 20-24 Stunden täglich an 7 Tagen die Woche. Danach geht die Kinderbetreuung neben dem Job weiter. Mamas und Papas hetzen oft von zu Hause in die Arbeit, um danach wieder in den Kindergarten zu hetzen. Zwischendurch soll am besten ein gesundes, leckeres Essen auf den Tisch gezaubert werden und die Kinder unterhalten werden, sei es mit Playdates oder kindgerechten Kursen. Am Abend ist bei den meisten Familienmitgliedern die Luft raus. Kurze Pausen im Alltag sind oft nicht möglich und eine ständige Konfrontation mit den heftigen Emotionen der Kleinen führt oft zu Hilflosigkeit der Eltern. Genau in diesen Situationen werden dann Strafen ausgesprochen oder eben Belohnungen, die dem bekannten „Zuckerbrot und Peitsche – Syndrom“ ähneln.  

Belastung/Überforderung/Stress

Eltern wollen nicht nur zu Hause die Besten sein, sondern auch in ihrem Job.

Eine Balance zu finden zwischen den Anforderungen des Arbeitsmarktes und der Elternrolle ist nicht einfach. Am Wochenende wollen soziale Kontakte gepflegt und die Kinder mit einem tollen Freizeitprogramm unterhalten werden. Es ist kein Wunder, dass Eltern in diesem Alltagsmodell an ihre Grenzen kommen und die Versuchung groß ist, ein Gefühl für „richtig“ und „falsch“ durch Strafen und Lob zu vermitteln.

Angst vor dem Verwöhnen

Die Aussage, dass unsere Generation ihre Kinder zu sehr verwöhne, kommt meistens von der Generation vor uns, die noch unter gänzlich anderen Lebensumständen groß geworden ist. Dennoch führen Aussagen wie „Die wird dir noch auf dem Kopf herumtanzen“ oder „In der Schule ist er dann überfordert, weil du ihn so verwöhnst“ dazu, dass wir als Eltern nachdenken. Sie machen etwas mit uns. Und oft sprechen wir dann Strafen aus. Um unsere Kinder abzuhärten. Wir denken wohlmöglich, dass Bestrafen unserer Kinder die richtige Art und Weise sei, um Grenzen zu setzen.

Kinder sind unvollkommen

Die Annahme, Kinder seien unreif und müssen erst erzogen werden, um ein voller Mensch zu werden zeigt ein großes Machtverhältnis auf. Es rechtfertigt, dass wir von oben herab mit Kindern sprechen. Ein Umdenken ist nur möglich, wenn wir unsere Kinder als volle Menschen wahrnehmen und auf einer Augenhöhe mit ihnen sprechen. Jesper Juul bringt es sehr schön auf den Punkt, wenn er in seiner Kolumne in „Der Standard“ folgendes schreibt:

Stellen wir uns vor, dass meine Frau
verärgert ist, weil ich am Sonntagmorgen eine Kolumne schreibe,
anstatt Zeit mit ihr zu verbringen. Wenn ich davon überzeugt wäre,
dass eine Belohnung die angemessene Form für eine auf Liebe
basierende Beziehung ist, könnte ich Folgendes zu ihr sagen: „Wenn du
still bist, bis ich mit dem Schreiben fertig bin, können wir am
Nachmittag zum Strand gehen.“

derstandard.at/1373512459729/Braucht-Erziehung-Bestrafen-und-Belohnen

Und wer würde wollen, dass sein Partner so mit einem spricht. Folgendes Credo sollten wir uns immer wieder in den Sinn rufen: Behandle andere Menschen stets so, wie du selbst gerne behandelt werden möchtest. Denn Kinder sind nicht halbe Menschen und sie lernen von uns, wie sie später selbst mit anderen umgehen.

Das Problem, das entsteht, wenn wir unsere Kinder bestrafen

  • Das Urvertrauen zu den Eltern wird zerstört, weil den Kindern das Gefühl gegeben wird, dass sie so wie sie sind nicht ok sind. Denn durch das Bestrafen bekommen Kinder die Nachricht: “ Durch DEIN Verhalten machst du mich wahnsinnig. Bitte sei anders!“
  • Strafen machen Kinder klein. Die elterliche Macht wird ausgenutzt und anhand einer Strafe demonstriert.
  • Strafen funktionieren nur kurzfristig, denn für den Moment wird das bestrafte Kind sein Verhalten ändern, aber langfristig wird es sich die Konsequenzen nicht merken. Das kommt daher, dass Menschen effektiv und langfristig erst dann lernen, wenn sie etwas nachvollziehen und verstehen können.
  • Kinder lernen durch Vorbilder mehr als durch Worte.
  • Strafen sind oft Ventil für die eigene Wut. Diese wird dann an den Kindern ausgelassen.
  • Strafen verletzen unsere Kinder und schädigen unsere Beziehung zu ihnen.
  • Strafen führen zu Wut bei Kindern, die dann abgespeichert und später an anderer Stelle wieder rausgelassen wird.

Welche Alternativen gibt es

Was können wir statt Strafen und Belohnungen nun tun, um ein gewünschtes Verhalten unserer Kinder zu erreichen?

  1. Schaut hinter das Verhalten des Kindes, bevor ihr es verurteilt. Was will mir mein Kind mit seinem Verhalten mitteilen? Ist es müde? Braucht es was Bestimmtes? Warum ist mein Kind aggressiv?
  2. KLAR-SEIN. Je klarer wir mit unseren Kindern sind, desto besser können sie sich auf unsere Wünsche, auf Termine und den Familienalltag einstellen. Mit unklaren oder zu vielen Aussagen können Kinder nichts anfangen. Auch zu viele Wahlmöglichkeiten sind oft verwirrend für kleine Kinder. Teilt euren Kindern mit, was ihr wollt und braucht von Tag zu Tag. Es ist wichtig seine eigenen Grenzen zu setzen und zu formulieren.
  3. ICH – BOTSCHAFTEN. „Ich bin hungrig. Ich möchte gerne, dass du deine Schuhe anziehst, damit wir einkaufen gehen können.“ „Ich möchte nicht zu spät kommen. Das ist mir wichtig.“ Formulieren wir Sätze so, verstehen Kinder besser was wir brauche und was uns wichtig ist. Denn unsere Kinder, auch wenn wir es manchmal nicht glauben können, WOLLEN kooperieren.
  4. NEHMT SIE ERNST. Kinder wollen genauso wie wir Erwachsenen ernst genommen und wertgeschätzt werden. Nehmt euch die Zeit, wenn eure Kinder euch etwas erzählen wollen oder einen Wutausbruch haben.
  5. KONSEQUENT SEIN. Genauso wie es gilt möglichst klar zu sein, ist es am besten ihr seid konsequent. Auch wenn das bedeutet, dass eure Kinder kurzfristig wütend sind (wenn sie zum Beispiel nicht noch ein Eis bekommen oder nicht noch eine TV-Serie schauen dürfen). Dadurch lernen sie, was euch wichtig ist und merken es sich besser für ähnliche Situationen in der Zukunft.
  6. 10-SEKUNDEN-REGEL. Kinder schaffen es noch richtig authentisch ihre Gefühle rauszulassen. Daher sind ihre Wutausbrüche auch meist sehr laut und intensiv. Das können wir schlecht aushalten, verbannen sie in ihr Zimmer oder brüllen zurück. Wenn ihr wieder in einer derartigen Situation seid, versucht langsam bis 10 zu zählen und reagiert erst dann.
  7. DA-SEIN und AUSHALTEN. Das Allerwichtigste in der Begleitung von Kindern, ist es, da zu sein. Präsent zu sein. Auch wenn unsere Kinder toben und schreien. Seid da. Denn Elternsein bedeutet oft sich Herausforderungen zu stellen und sehr starke Gefühle einfach auszuhalten.

 

Wir können uns merken, dass Druck und Zwang fast immer Widerstand bewirken. Motivation und Ansporn bauen Menschen auf. Und was wünschen wir uns für unsere Kinder? Widerstand oder Aufbau? ?

 

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