Veränderungen zulassen und annehmen

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Das einzig Beständige ist die Veränderung, heißt es so schön. Dieser Satz von Heraklit von Ehesus (540-480 v. Chr.) besagt: Veränderungen sind Elemente unseres Lebens, die wir nicht vermeiden können und wir können ihnen auch nicht ausweichen. Veränderung bedeutet Bewegung im Leben.

Ich sitze beim Friseur. Seit 7 Jahren gehe ich immer zur selben Friseurin. Sie kennt mich und ich vertraue ihr. Heute war es mein letzter Termin bei ihr, weil sie sich verändern wird. Ich wusste, dass dieser Tag irgendwann einmal kommt, denn sie hat in den letzten Jahren immer wieder davon geschwärmt, ihren eigenen Salon zu eröffnen und ich habe sie immer darin bestärkt. Heute verabschiede ich mich von ihr mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich freue mich für sie und dafür, dass sie diesen mutigen Schritt wagt, dass sie ihrem Herzen folgt, sich der Veränderung stellt und nicht vor Hürden oder Zweifel zurückschreckt. Das sage ich ihr auch und sie sagt mit einer Träne im Auge „Danke. Diese Worte tun gut.“

 

Veränderungen finden statt

Veränderungen finden im außen und im innen statt, sie finden minütlich statt, bewusst und unbewusst. Manche Veränderungen können wir beeinflussen, manche Veränderungen nicht. Jeder von uns verändert sich, manchmal sogar mehrmals täglich: Das kann die Kleidung sein, die wir im Beruf tragen und dann auf Sneakers und Jeans wechseln, wenn wir mit den Kindern auf den Spielplatz gehen oder abends mit Freunden essen. Das kann die Frisur sein, die wir uns schneiden lassen und mit der wir unser Ich ausdrücken, es kann die Haarfarbe sein, mit der wir uns von der Masse abheben wollen. Eine neue Falte, ein graues Haar, neue Menschen, die wir kennenlernen und neue Erfahrungen, die wir machen verändern uns. Viele Veränderungen bekommen wir aber gar nicht mit, weil wir so im Alltagstrott stecken: Ein voller Terminkalender, in Gedanken versunken, oder mit dem Smartphone beschäftigt. Um uns herum verändert sich alles. Ständig. Dessen müssen wir uns bewusst sein.

Einige Veränderungen sind für uns selbstverständlich und wir machen ihnen Raum, wir lassen sie zu und können sie gut annehmen. Mit dem Partner zusammenziehen bedeutet, ihm Platz zu machen, einen Teil vom Kasten freizumachen und Platz für neue Möbel zu schaffen. Wenn der Winter kommt, holen wir automatisch die dicken Jacken aus dem Kasten. Kinder? Sie stellen unser Leben auf den Kopf. Und dennoch fällt es uns manchmal schwer, gerade diese Veränderung in unserem Leben zuzulassen und sie anzunehmen. Stattdessen kämpfen wir dafür, dass mit Kindern alles so bleibt wie früher, denn schließlich kriegt das eine gute Mutter locker gebacken, oder? Oft stehen uns unsere Vorstellung davon, wie etwas zu sein hat im Weg, um uns auf Veränderungen wirklich einzulasen.

Mit Kindern ist ständig etwas oder jemand in Bewegung

Mit einem Kind ändert sich alles. Temporär ja. Zwischen Selbst- und Fremdbestimmung  liegen nur ein paar Presswehen. Ist das Kind geboren, ist nichts mehr wie früher, erstmals zumindest, weil dieser kleine Mensch vollkommen auf unsere Liebe, Fürsorge und Pflege angewiesen ist, um überleben zu können. Diese Tatsache bringt Veränderungen mit sich: Ein Elternteil, meist die Mutter, bleibt auf eine bestimmte Zeit zu Hause beim Kind, ändert ihren Tagesablauf und ihre Tätigkeiten, gibt fürs Erste ihren Job auf, verändert ihren Rhythmus, ihren Freundeskreis und ihre Prioritäten. Dieser massive Eingriff von außen, die Fremdbestimmung durch das Kind, stellt erstmals alles auf den Kopf und wirft das Leben aus der Bahn. Weil man selbst nicht bei sich ist und sich erst wieder finden muss, ist es ein guter Ausweg zu sagen, das Kind ist daran Schuld. Aber ist es das wirklich? Ein Kind in sein Leben zu lassen bedeutet, diesen kleinen Menschen anzunehmen und ihn in sein zu lassen. Es bedeutet, sich selbst temporär stark zurückzunehmen und die Bedürfnisse des Kindes zu sehen, ehe wieder Raum für die eigenen Bedürfnisse kommt. Es bedeutet, einem Menschen mit Achtung und Respekt zu begegnen, sich aufeinander einzustellen und sich zunächst dem Rhythmus des Babys anzupassen, ehe sich neue Strukturen ergeben. Ein Kind anzunehmen bedeutet auch, sein eigenes inneres Kind besser kennenzulernen, sich diesem anzunähern, die eigenen Grenzen zu erkennen und lernen, für diese einzustehen, aber auch die Grenzen eines anderen Menschen zu wahren. Ein Kind in sein Leben zu lassen bedeutet, sich einer Veränderung zu unterziehen, sich selbst, seine Kindheit und seine Beziehungen zu hinterfragen. Ein Kind zu haben bedeutet auch, eine große und intensive Liebe in sein Leben zu lassen. Diese Herausforderungen und Erfahrungen sind es, die das Leben aus der Bahn werfen (können) und die uns immer wieder verunsichern, in dem wer wir sind und was wir wollen.

Obwohl viele Paare sich bewusst für ein Kind und damit für eine Veränderung in ihrem Leben entscheiden, fällt es ihnen schwer, sich auf dieses Abenteuer einzulassen, es anzunehmen und positiv zu sehen. Immer wieder klagen Eltern darüber, was sich nun alles geändert hat, worauf sie verzichten müssen, wie anstrengend das Leben mit einem Kind doch ist. Das Kind hat Schuld. Schuld, dass die Eltern nicht mehr durchschlafen können, dass sie nicht mehr in Ruhe duschen können, dass sie immer mit schmutziger Kleidung herumlaufen und keine Zeit mehr für sich haben. Doch ist wirklich das Kind daran schuld oder ist es doch ein wenig unsere Vorstellung davon, wie das Leben mit einem Kind auszusehen hat?  Sind es nicht gesellschaftliche Erwartungen, die uns unter Druck setzen und uns das Gefühl geben, wir müssten auf so vieles verzichten? Es fällt uns wohl so schwer diese temporären Veränderungen durch ein Kind anzunehmen, weil sie fundamental sind, weil sie uns zu unserem Inneren führen, weil sie Gedanken in uns hervorrufen, die wir vielleicht verdrängt haben und weil sie uns triggern können. Niemand kommt uns wohl so nah wie unser Kind. Und das macht verletzlich, das kann Angst bereiten, wenn plötzlich innere Prozesse ausgelöst werden, die wir vorerst nicht einordnen können.

Dabei bieten Veränderungen immer auch die Chance, neue Erfahrungen zu machen, neue Eindrücke zu gewinnen, sich selbst und seinem inneren Kind näher zu kommen und sich weiterzuentwickeln. Wäre es also nicht schön, wenn wir Veränderungen positiv annehmen können und auf sie zugehen, sie willkommen heißen, statt sie als Feind zu sehen? Wäre es nicht gut, wenn wir unsere Einstellung zu Veränderungen durch Kinder so anpassen, dass wir uns damit nicht mehr unwohl fühlen, nicht mehr unter Druck, nicht mehr so überrascht, damit wir besser mit unseren inneren und äußeren Prozessen umgehen  können?

So einfach ist es leider nicht

Aus anthropologischer Sicht ist es logisch, dass der Mensch Veränderungen skeptisch betrachtet, denn schließlich könnten sie auch eine Gefahr bedeuten. Je weniger Veränderungen stattfinden, desto sicherer war es, seine Gene weitergeben zu können. Das Ego versucht, Veränderungen zu vermeiden und klammert sich an Gewohntes. Dieser Teil, das Ego, versucht in jedem von uns Veränderungen zu vermeiden – aber dennoch geht jeder Mensch anders mit ihnen um. Woran liegt das? Es liegt im Umgang mit den Veränderungen. Es gibt Menschen, die über Veränderungen positiv denken und dann fällt es ihnen auch leichter, diese anzunehmen. Anderen hingegen fällt es deutlich schwerer, sich auf Veränderungen einzulassen und das Positive in ihnen zu sehen. Wir alle können unsere Denkweise ändern, denn sie ist kein fester Teil von, sondern es gibt immer die Möglichkeit, sie bewusst zu verändern.

Der erste Schritt dazu ist: Erkennen und akzeptieren, dass Veränderungen Teile des Lebens sind. Naturgemäß fällt es uns leichter, eigenbestimmte Veränderungen anzunehmen als fremdbestimmte. Doch beide sind ein Bestandteil des Lebens.

Der zweite Schritt: Wir sind es gewohnt, zu bewerten und zu beurteilen – immer und überall. Wir bewerten unsere Kinder, sie werden mit Noten in der Schule beurteilt und sie werden miteinander verglichen. Was wir mit unseren Kindern machen, machen wir auch mit Situationen. Wir bewerten sie. Dabei ist jede Situation in ihrem Wert neutral – erst durch unsere subjektive Einschätzung entsteht eine Meinung, die positiv oder negativ sein kann. Dabei liegt es in unserer Hand, denn unsere Gedanken können wir verändern, genauso wie unsere Einstellung und damit auch das Gefühl für neue Situationen. Wir können nach den positiven Dingen Ausschau halten, in jeder Situation – dazu müssen wir uns von unserer subjektiven Sicht distanzieren und unseren Blickwinkel für die Situation öffnen.

Wir müssen beobachten, was in uns vorgeht, was mit uns passiert, wie wir uns fühlen, damit sich die emotionale Unruhe legen kann. Nur wenn wir regelmäßig innehalten und wahrnehmen, was um uns passiert, wie wir uns damit fühlen, können wir etwas verändern. Das ist keinesfalls immer bequem und kann uns auch eine persönliche Grenze führen, aber es lohnt sich. Es braucht dazu die Kunst, dem Leben und sich selbst wirklich zu begegnen, in dem man echte Emotionen an sich heranlässt, echte Beziehungen eingeht und so immer tiefer wahrnehmen kann, wer man ist und welche Emotionen in einem ausgelöst werden. Auf dieser Basis kannst du beginnen, gewohnheitsmäßige Reaktionsmuster zu durchschauen und zu ersetzen. Du wirst erkennen, dass du manche Veränderungen weder aufhalten noch ändern kannst, aber den Umgang mit ihnen erlernen und annehmen können, dass sie hier sind.

Veränderungen beginnen in deinem Inneren. Wenn du den Willen hast mit Veränderungen bewusst anders umzugehen, dann kannst du etwas verändern. Vertraue dir.

Dem Leben vertrauen

Wir sind oft dazu gezwungen dem Leben zu vertrauen, wenn es Veränderungen mit sich bringt. Auch als Eltern. Besonders als Eltern müssen wir vertrauen, um auf dieser Basis eine gute Beziehung zu unserem Kind aufbauen zu können. Dabei fällt gerade vertrauen heute schwer. Das beginnt schon in der Schwangerschaft, wenn wir immer ein Bildchen brauchen um zu wissen, dass es unserem Baby gut geht. Bei der Geburt vertrauen wir mehr auf das Fachwissen eines Arztes oder einer Hebamme, statt auf unseren Körper. Wir können nur schwer darauf vertrauen, dass das Baby an der Brust satt wird, weil wir nicht sehen und kontrollieren können, wie viel es bei jeder Mahlzeit trinkt. Es fällt uns schwer unserem Baby zu vertrauen, dass es weiß, wann es Hunger hat, wann es satt ist und wann es müde ist. Statt zu vertrauen und die Veränderung zuzulassen, greifen wir ein, wiegen vor und nach jedem Stillen und bringen unser Baby nach Uhrzeit statt nach Bedürfnis ins Bett. Dabei dürfen wir unserem Baby vertrauen, denn es kommt noch frei und völlig offen auf die Welt. Ohne Zurückhaltung zeigt es seine Bedürfnisse, immer und überall, ob es für uns gerade bequem ist oder ist. Dein Baby hat noch einen guten Kontakt zu sich, es weiß, was es braucht und wenn es erfährt, dass es gesehen und angenommen wird, dann wird es auch weiterhin seine Bedürfnisse zeigen und sich selbst spüren. Wir können uns auf die Veränderung leichter einlassen, wenn wir ein gutes Vertrauen in uns und unser Leben haben. Doch dieses Vertrauen in sich haben viele Menschen heute verloren und verlieren sich selbst in einem Dickicht aus guten Ratschlägen und gesellschaftlichem Druck:

Heute läuft Kind-Sein ein wenig anders: Über Generationen hinweg steigt der Druck, in der Gesellschaft zu funktionieren. Kindheit wird zu einer Art Boot-Camp oder Assessment-Center für das spätere Leben. Das Kind muss optimiert werden, es muss auf ein Leben nach seiner Kindheit vorbereitet werden. Damit das Kind aber funktioniert, wie wir es uns wünschen oder es für optimal halten, verliert es die Fähigkeit, seine Bedürfnisse zu spüren und ihnen nachzugehen. Sie verlieren zunehmend den Kontakt zu sich selbst, zu ihren Wünschen und Bedürfnissen. Wir vertrauen nicht mehr in unser Kind und lassen es nicht einfach sein, sondern wir ziehen es in eine Richtung, von der wir glauben, dass sie gut ist für eine erfolgreiche Zukunft. Stattdessen sollten sich Eltern fragen, was gut für eine erfolgreiche Kindheit ist, denn so, wie wir als Kind behandelt werden, welche innere Stimme wir im Kopf ausbilden, so behandeln wir uns auch, wenn wir erwachsen sind. Wir nehmen diese Erfahrungen mit auf eine lange Reise, die sich Leben nennt.

Eine gute Basis, die auf Liebe, Nähe, Geborgenheit und Vertrauen aufbaut, stärkt für das ganze Leben und ersetzt viele Frühförderkurse und lässt uns mit Veränderungen leichter umgehen, weil wir uns vertrauen können und uns kennen.

Geben wir unseren Kindern dieses Geschenk mit, nehmen wir die Veränderung an und geben wir ihr Raum in unserem Leben. Ganz selbstverständlich. Kämpfen wir nicht gegen sie und damit auch gegen unser Kind an, sondern lassen wir uns auf einen Prozess ein. Lassen wir das Kind einfach sein und beobachten, was aus dem Sein wird.

Zu leben und ein Kind anzunehmen bedeutet nicht nur Veränderungen zulassen, sondern es bedeutet auch, zu vertrauen. Und wenn wir es mit den Veränderungen richtig machen, wenn wir ihnen positiv begegnen und lernen mit ihnen konstruktiv umzugehen, dann kommen sie eine ganz andere Bezeichnung: Wachstum.

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