Leise Kinder – hochsensibel, empathisch, unterschätzt

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Meine Tochter ist ein sehr leiser Mensch. Sie ist ruhig, sie steht nicht gerne im Mittelpunkt, sondern beobachtet lieber. Sie ist ein stilles Wasser. Und stille Wasser sind gemäß dem Sprichwort tief.

Meine Tochter ist hochsensibel. Sie hat eine besondere Gabe und besondere Stärken wie Sorgfalt, Sanftmut, Empathie, sie kann gut zuhören, sie kann auf andere Rücksicht nehmen, sie ist sehr empfindsam. Sie ist ein leiser Mensch. In unserer lauten Welt hat sie es damit nicht immer einfach und ihre Stärken kommen nicht richtig zur Geltung. Ihre Besonderheit wird auch nicht als Stärke wahrgenommen, sondern als Schwäche. In der Schule verhält sie sich still und leise, sie arbeitet zuverlässig und gewissenhaft, hält sich eher im Hintergrund und drängt sich nicht nach vorne. Sie profiliert sich nicht über ihre Leistungen, sie ÜBERschätzt sich auch nicht und ist bescheiden. Es fällt ihr schwer, Anerkennung und Wertschätzung anzunehmen. Sie wird oft unterschätzt und sorgt immer wieder für WOW-Effekte, weil ihr vieles nicht zugetraut wird. Dabei steckt in ihr ein großes Potential, viel Wissen und Können. Auf meine Tochter kann ich mich verlassen, ich kann ihr vertrauen. Nur wer extrovertiert ist, wer laut und selbstbewusst ist, wird auch gesehen und gehört. Ich finde das sehr schade, denn gerade die Fähigkeiten und das Geschenk der leisen Menschen braucht unsere Gesellschaft. Hochsensible Menschen sind (meistens) leise, zurückhaltende Menschen, die eher introvertiert wirken.

Wenn meine Tochter etwas macht, dann macht sie es mit viel Herz und Empathie, erwartet dafür aber keine Gegenleistung oder Anerkennung. Sie handelt nicht berechnend oder versucht sich einen Vorteil dadurch herauszuspielen. Sie tut es, weil sie es mit anderen gut meint. So hilft sie freiwillig im Haushalt mit, einfach weil sie es mag, in meiner Nähe zu sein und mit mir gemeinsam etwas zu tun. Sie macht es von Herzen, ohne dafür etwas zu erwarten: Nicht mehr Taschengeld und auch nicht eine Stunde mehr fernsehen. Nein, meine Tochter gibt und hilft wo sie kann, sie ist großzügig, sie teilt ohne nachzudenken, sie verschenkt Spielsachen, sie schreibt Briefe an ihre Freundinnen, sie lädt ihre Freunde von ihrem Geld auf ein Eis ein. Das alles (und noch vieles mehr) macht sie einfach so. Ich finde das unglaublich und ich merke, wie ich immer wieder von ihr lernen kann. Es freut mich, dass es Menschen wie sie gibt.

In unserer Gesellschaft haben die lauten Menschen das Sagen. Wer selbstbewusst ist, wer Egoismus und Selbstdarstellung aufbringt erntet dafür Anerkennung und Erfolg. Heute ist ein großes Erziehungsziel, dass Kinder selbstbewusst werden, dass sie wissen, was sie wollen, wo ihre Grenzen sind und sich auch dafür einsetzen. Ich habe meine Tochter immer so angenommen wie sie ist. Ich liebe sie so, wie sie ist. Sie ist ein leiser Mensch und gerade von ihr wird oft erwartet, dass sie sich anpasst. Sie soll sich nicht so anstellen, sie ist sehr empfindlich, sie weint wegen jeder Kleinigkeit, sie muss sich öffnen – all diese Aussagen habe ich schon über sie gehört. Immer hat jemand versucht, meine Tochter zu jemand zu machen, der sie nicht ist. Sie ist eben leise, sie ist still, sie ist introvertiert. Aber so wie sie ist, ist sie richtig. In unserer lauten Welt tut sie sich schwer, einen Platz zu finden. Introversion scheint etwas Negatives zu sein, eine schlechte Eigenschaft oder etwas Pathologisches. Dabei sind diese leisen Menschen, die sich nicht über ihre Leistung profilieren, die nicht immer herausposaunen, was sie alles Tolles geleistet haben, jene Menschen, denen wir besonders viel Achtung und Wertschätzung entgegenbringen sollten. Wer mit so viel Herz, Empathie und Großzügigkeit durch die Welt geht, verdient auch zumindest unsere Anerkennung.

Ich meine Tochter, ich glaube an dich, ich schätze dich, ich achte dich und ich respektiere dich. Es wird dir vieles im Leben nicht leicht fallen und noch oft wirst du auf Menschen treffen, die deine Gutmütigkeit ausnützen. Du wirst noch oft an deine Grenzen stoßen und dich mit ihnen auseinandersetzen müssen. Aber du hast Stärken, Stärken, die dich besonders machen. Deine Hochsensibilität ist ein Geschenk für dich, für mich, für uns und für deine Freunde. Und ich wünsche mir, dass du sie eines Tages als ein Geschenk sehen und annehmen kannst.

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